Samstag, Juni 20, 2009

Brutales Vorgehen der Regierungskräfte im Iran - ein zweites Tian`anmen?

Nachdem gestern die Rede von Chamenei deutlich zeigte, dass das Regime keine Zugeständnisse mehr macht und vor erneuten Protesten gewarnt hat , ist es heute zu den erwarteten heftigen Zusammenstößen zwischen der Riot Police/Basiji Milizen und Demonstranten gekommen. Ich habe seit gestern Nacht den #iranelection auf Twitter verfolgt. Eine unglaubliche bizarre Stimmung hat sich seitdem in mir breit gemacht. Hier sitze ich in völlig gesicherten Verhältnissen und kann live verfolgen wie Menschen in meinem Alter Abschiedsbriefe im Netz veröffentlichen, weil sie Angst haben, dass die heutigen Proteste für sie tödlich ausgehen könnten. Sie berichten von einem Sonnena
ufgang, der wahrlich einen historischen Moment beschwört. Ein Tag des "Jetzt oder Nie". Überall auf Twitter kursieren Nachrichten in denen Erste Hilfe Ratschläge bei eventuellen Verletzungen durch Schuss-,Hieb- oder Stichwunden beschrieben werden. Und dies scheint auch wirklich notwendig zu sein. Die verstörenden Bilder, die uns heute tagsüber erreicht haben, sind nicht in Worte zu fassen. Hubschrauber sollen Säure über der protestierenden Menschenmasse abgeworfen haben, die Universitäten wurden abgesperrt, angeblich gab es eine Explosion am Khomeni Denkmal. Nachrichten werden gepostet und wieder als falsche Propaganda des Regimes dementiert. Menschen mit Handys, egal ob Männer oder Frauen, werden brutal zusammengeprügelt ! Tränengas, Wasserwerfer, Gummigeschosse und menschen-dahinstreckendes Gewehrfeuer. So sitzt man hier, während um einen herum vermeintlich der normale Alltag weitergeht und schaut sich Bilder von einem jungen Protestanten an, der hinterrücks von einem Dach erschossen wird. Ein junges Mädchen ertrinkt in ihrem eigenen Blut. Was sind wir Menschen eigentlich für Kreaturen? 

Es ist nur zu hoffen, dass sich diese Bilder  weltweit ins kollektive Bewusstsein der Menschen brennen werden und dass dieser vor allem auch mit neuen Medien geführte Krieg dem faschistischen System zum Verhängnis wird. Auf Twitter erneuern sich minütlich die Nachrichten zu einem nicht mehr zu bezwingenden Berg von neuen Meldungen, die aus dem Iran oder aus dem Ausland geschrieben werden. Vielerorts konnte man vernehmen,
 wie sehr die Tatsache außerhalb der iranischen Grenzen gehört zu werden,  Mut macht. Die Augen der Welt sind auf den Iran gerichtet und diese Tatsache lässt sich nicht mehr durch
 Presseeinschränkung und Handynetz Sabotage verhindern. Genau deswegen habe ich auch das Gefühl nicht mehr aufhören können zu lesen,
 nicht mehr aufhören können selber den Menschen Nachrichten zu schreiben. Es hat sich ein Fenster von dort zu ins unsere heimliche Welt geöffnet, welches wir nicht einfach wieder schließen und ignorieren können. Das ist auch eine Seite von Globalisierung; der beschleunigte, grenzüberschreitende Austausch von Bildern und Daten, der uns alle näher zusammenrücken lässt. Auch wenn es sich hier nicht um professionell aufgearbeitetes Redaktionsmaterial handelt, haben wir hier es mit Bildern und Filmen zu tun, die am gleichen Ort synchron aufgenommen wurden und so multiperspektivisch einen authentischen Einblick in die derzeitige Situation auf den Straßen Irans abgeben. Die iranischen mit handys-bewaffneten Menschen sind zu unserem erweiterten Auge geworden, dass uns so nah am Geschehen emotional und emphatisch nicht mehr kalt lassen kann. Tagesschau ist immer nur um 20 Uhr, die Gewalt und die Ungerechtigkeit um 20:15  Uhr aber noch längst nicht abgeschaltet.

Ich weiß auch nicht mehr was ich machen kann. Die Ereignisse meines Lebens und die da draußen haben sich die letzte Woche so seltsam übereinandergeschoben.

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