Montag, März 26, 2007

Rosenheim

Er ging die Strasse entlang wie an jedem Tag in der Woche. Ein ganz normaler Tag und doch so unerwartet anders.

Kaum ist man selber der Adoleszenz entschlüpft, gerät man auch schon in das gleiche Fahrwasser der Ältesten, die unaufhörlich jede Gelegenheit wahrnehmen, um auf die Zukunft unseres Landes in Form von Mädchen und Jungen in Schlabberhosen verächtlich herabzublicken. Mit solch Hochmut galoppiere auch ich desöfteren unsanft durch die Strassen meiner Welt und spucke von hohem Ross auf das Alter herab, dem ich gerade selber knapp entwachsen konnte und es immer noch nicht geschafft habe sämtliche Aufgaben, die für eine positive Identitätsentwicklung vonnöten wäre zu bewältigen.

Ich seh die prahlerischen H&M Halbstarken, die kleinen schreienden Hotelmädchen, die Elektrosmog-Armee, die Furzdownloader, die Sprechbehinderten und die Liebesverwahrlosten. Und dann bin ich froh, dass ich nicht mehr dazugehöre, sonder glücklicherweise meinen Sonntag mit meiner Wochenenddepression auf der Couch verbringe, die mir immer wieder freundlich auf die Schulter klopfend einfühlsam beibringt, dass ich nicht mehr dazugehöre. Wozu auch immer ?
Gestern ist mein Weg gekreuzt worden von einem, der noch dazugehört. Ein Homeboy auf Arbeit, in voller Montur. Hellblaue Baggyjeans, ausgelatschte Petrolsneaker, der notorische Kapuzer und die darüber geplusterte dunkelblaue Daunenweste, gekrönt durch die allseitsbeliebte Emblemkappe, die der ganzen Erscheinung den nötigen zusammenhaltenden Verschluß aufsetzt. Eine Konserve. Ein nie schlecht werdendes, aber trotzdem fad schmeckendes Allerlei, dass ein bisschen mehr als nichts schmeckt.

Moment... Irgendetwas stimmte hier nicht. Irgendetwas passte so gar nicht in mein so maßgeschneidert, vorgefertigtes Bild, welches ich so prompt abrufen konnte. Dieser lächerliche bunte Clon widersetzt sich meinem in Stein gehauenen Urteil, verspottet mein nicht zur Diskussion stehendes Wissen und attackiert mich verteidigend mit einem frisch in dunkles Packpapier eingerolltem Blumenstrauß, den er völlig selbstverständlich in der rechten Hand baumeln lässt. Die abgeschnittenen Stengel der einzelnen Blumen luken noch aus dem
Ende seiner geballten Faust hervor. Ich glaube Dornen zu sehen. Ich bin irritiert. Ein McDonalds Milchgesicht mit einem nicht gerade taschengeldkompatiblen Rosenbouquet.
Ich laufe schneller und bleibe dieser Fantsasiegestalt dicht auf den Versen, um meine Retina noch etwas länger mit diesem sonderbaren Anblick zu belohnen und mich an diesem Fehler in der Matrix zu erfreuen. Hier wird das System infiziert...

Jetzt erst sehe ich ihm in die Augen. Nichts naives, lästiges, dummes oder vorlautes ist zu erkennen.

Das einzige was ich in seinen Augen und auch in dem daranhängenden Gesicht lesen kann ist pure Entschlossenheit. Entschlossenheit die keinen Einwand erlaubt. Entschlossenheit, die jede zweifelnde Frage zum Schweigen bringt und zum schämen in die Ecke verweist. Dieser Junge, der so aussieht, als ob er hinter seinem Fubu Fell in keinster Weise weiß was er will und was Sache ist, scheint es mehr zu wissen als ich es ertragen kann. Er strahlt diese jugendliche Gewißheit aus, dass manche Dinge im Leben eben gemacht werden müssen, egal ob aus Liebe zu Etwas oder einfach der großen Scheiße wegen. Gut und Schlecht sind zu vergessende Kategorien, die der „richtigen“ weichen müssen.

Diese konsum und medien-verwahrloste Schaufensterpuppe, dieser Reihenhaus- Thug ist im Auftrag der Liebe unterwegs. Und mit der gleichen Konsequenz, in der er normalerweise im Rudel um Annerkennung buhlt, hat er sich unabänderlich auf den Weg zu seiner Angebeteten gemacht, die ihn aufatmen läßt, unter deren Hand er sich aus Uniformen entkleidet, die ihm ein Stück kindliche Unschuldigkeit wieder zurückschenkt und ihn einfach sein läßt, was er ist und nicht was er sein will, muss oder soll. Und so ist es nicht einmal Mut, dass ihn in voller Cliquen-Kluft und unter den Augen des ganzen nachbarschaftlich-tuschelnden Barrios mit einem Strauß Blümchen öffentlich aufblühen läßt. Es geht um die Tat, die im Inneren schwelt und gelebt werden will und nicht, um die Bewertung von irgendeiner Instanz außerhalb eines Brustkastens.

Mit der selben Selbstsicherheit wie mein junger Freund seine handvoll Flora Richtung Ziel trug, blieb er auch vor dem Schaufenster eines Juweliers stehen. Vornübergebeugt, das Auge voller ehrlichem Interesse, inspizierte er brilliantbesetzte Ringe aus der Abteilung Frau, dessen Inneleben er sich an anderen Tagen vielleicht ans Ohr gewünscht hätte. Wenn schon keine Yacht im Elbhafen, dann wenigstens eine am Kopf. Ich sah sein Spiegelbild im Anbetracht des Kleinods schon ernsthaft darüber kalkulieren, wie oft man in den Ferien hinter der Fritteuse bei McDo zu brutzeln habe, um der Ewig- und Einzigen die Liebe an den Finger stecken zu können. Seine Blicke wanderten von einem Objekt zum nächsten und ich sah mit immer mehr Gefunkel und Geglitzer das Bratfett nur so durch die Luft sudeln.

Und ich freute mich. Ich freute mich von ganzen Herzen, dass unter all den Kopfsocken, den babyblauen Ganzkörpertrainingsanzügen und den Sportschuhen aus Metall, dass hinter der harten Mine mit Schnurbartpflaum, der Monsterakne und den unkontrolliert maskulinen Bewegungen; ja, dass hinter all den Schichten pubertärer Tapete, irgendwo unverdorben ein Skelett mit nettem Kerl und tollem Hecht übriggeblieben ist. Und was man selber in der Vergangenheit als verrohter Restmensch abqualifiziert hat, wurde nun in diesem Moment in seiner Direktheit konsequenzloser als mein ganzes Leben und hielt mir den Spiegel vor. Mein Leben...Ein Leben voll von Vernunft und Erfahrungen, ein Leben des Darübernachdenkens und Abwägens. Ein Leben voll von Ruhe und Sicherheit, des Blasiertseins und der Unzufriedenheit. Und so wurde meine gelangweilte, vorschnelle Arroganz eines besseren belehrt und mit einem Gefühl von Reue und einer Brise Neid auf ein Leben aus dem Bauch habe ich die Scherben meines just kaputtgegangen Klischees aufgehoben, mir zu Hause nochmal angeschaut, um es dann zu etwas anderem, etwas neuen wieder zusammenzukleben. Etwas, dass wie der Versuch erscheint wie ich auszusehen. Etwas mit vielen Brüchen, abgesplitterten Ecken und Kanten. Mit verzogenen Seiten und einer abröckelnden Oberfläche. Etwas für das man keinen Namen findet, obwohl man für ansonsten alles eine passende Schublade öffenen kann. Eine Unform. Nichts Hässliches, aber auch nichts Schönes.

Erst gibt es die Regel, dann gibt es die Ausnahme und dann bricht das System in Stücke. Gut das andere anders sind als man denkt, schlecht, dass man weniger ist als man glaubt.
Und deswegen auch völlig egal, dass sich der Junge durch den freundlichen Blumenstrauß eine Entjungferung und anderthalb Monate Sex erhoffte und in dem Ring die Verheißung eines Arschficks sah.

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